Arbeiter-Samariter-Bund

Samariter der ersten Stunde Dr. Manfred Temme und Peter Billing im Interview Nachdem der damalige SED-Politiker und neu ernannte „Sekretär für Informationswesen“ Günter Schabowski quasi imAlleingang und versehentlich die Mauer öffnete, schlug kurze Zeit später die Geburtsstunde eines gesamtdeutschen ASB. Wir sprachen mit Dr. Manfred Temme und Peter Billing, zwei Samariter, die von Beginn an dabei waren. Wo haben Sie die legendärenWorte: „Das tritt nach meiner Kenntnis…. ist das sofort, unverzüglich…“, vernommen?Was waren Ihre ersten Gedanken nach der historischen Pressekonferenz mit Günter Schabowski? Dr. Manfred Temme: Nun das ist natürlich ein Ereignis, welches mir auch nach mehr als 30 Jahren unvergesslich bleibt. Ich weckte unverzüglich meine Frau, denn sie war schon schlafen gegangen. Wir hatten in Halberstadt in unserer Plattenbauwohnung mit Blick auf den Brocken und dem Sender Torfhaus immer einen sehr guten Empfang von ARD und ZDF. ImAlter von 19 bzw. 21 Jahren hatten wir den Bau der Berliner Mauer mit sehr persönlichen Folgen für unsere beiden Familien hinnehmen müssen. Unsere nächsten Ver- wandten lebten in der BRD und wären für mich nicht vor dem Rentenalter zu besuchen gewesen. Nun bestand end- lich die Chance unserem Sohn, er wurde am 16. November 18 Jahre alt, den anderen Teil Deutschlands zu zeigen. Peter Billing: Den genauen Wortlaut habe ich erst an einem der folgenden Tage gehört. Während eines Festes von Künstlern, Schauspielern, Malern, Musikern, Gra- fikern und Fotografen am 9. November 1989 machte plötzlich eine Nachricht die Runde, die für uns absolut unglaubwürdig klang: „Die Grenze ist offen“. Das Fest war sehr schnell zu Ende - alle wollten vor den Fernseher und Gewissheit! Sie beide sind seit 30 Jahren Samariter. Wie kam es zum Entschluss, sich in unsererWohltätigkeitsorgani- sation zu engagieren und beruflich zu orientieren? Dr. Manfred Temme: Nun eine berufliche Neoorientie- rung hat er ASB für mich nicht bedeutet. Ich war von An- fang an ehrenamtlich für unsere Organisation tätig. Nach der langen Zusammenarbeit mit dem DRK der DDR in der Schnellen Medizinischen Hilfe suchten wir als ärztliche Leiter einen neuen flexiblen Partner für den Rettungs- dienst. Wir wollten eine Monopolstellung des DRK in den neuen Ländern verhindern. Hier stellte der ASB, der bereits Anfang des 20. Jahrhunderts in Mitteldeutschland präsent war, als parteilich und konfessionell unabhängige Organi- sation eine Alternative dar. 57 Jahre nach dem Verbot des ASB bedeutete dies ein fruchtbarer Neubeginn für den Rettungsdienst in den neuen Ländern. (Anm. d. Red.: Der überparteiliche ASB war ein aktiver Teil der Arbeiterbewegung und deshalb schon vor 1933 in Konflikte mit den Nationalsozialisten geraten. Im März 1933 kam es zu ersten Übergriffen auf ASB-Kolonnen. Später folgten erste Verbote des ASB in Bayern und Braun- schweig. Am 1. September 1933 war der ASB schließlich aufgelöst und wurde enteignet.) Peter Billing: Die Grundsätze des ASB, nämlich partei- politisch und konfessionell unabhängig zu sein, haben mir auf Anhieb gefallen. VomASB hatte ich bis dahin nichts gehört. Es fiel Samariter Alfred Ecke nicht schwer, mich für unsere Hilfsorganisation zu begeistern. Beteiligt zu sein an einem Vorhaben, das etwas völlig anderes darstellte, als die bisherige Sozialarbeit in der DDR, das hat mich schon gereizt. Eine berufliche Orientierung hatte ich anfangs nicht im Sinn. Gerade die ehrenamtliche Arbeit war es, die mir am Herzen lag. Dass es nun dreißig Jahre mit haupt- und ehrenamtlicher Tätigkeit geworden sind, hatte ich seinerzeit keinesfalls für möglich gehalten. Wer waren die erstenAufbau-Helfer und wie verliefen die ersten Begegnungen mit westdeutschen Samaritern? Dr. Manfred Temme: Auf Anregung meines Freundes und Studienkollegen Dr. Winfried Mövius aus Halle wandte ich mich per Telex an den ASB-Bundesgeschäfts- führer Wilhelm Müller und erhielt kurzfristig Besuch durch Mitglieder des Bundesvorstandes. Der technische Leiter Jürgen Mackensen war sofort bereit unser Pate zu werden. Er half unbürokratisch und mit großer Herzlichkeit. Auch die Bundesgeschäftsstelle lieferte kurzfristig Fachauskünf- te und Materialien zur Bewältigung der für uns noch neu- en, ungewohnten Situation. Gern denke ich an die vielen Begegnungen mit den Patenverbänden aus Niedersachsen zurück. Es gab nie ein Problem, welches nicht umgehend angepackt wurde. Diese kameradschaftliche und uneigen- nützige Hilfe werde ich nie vergessen und die Jahre des Aufbruchs möchte ich auf keinen Fall missen. Bis heute sind sie mir sehr im Gedächtnis geblieben. Peter Billing: Ohne die Hilfe und Unterstützung aus dem Bundesverband, hier insbesondere durch Wilhelm Müller, wäre der Start weitaus schwieriger gewesen. Wir beka- men ohne die sonst üblichen bürokratischen Hürden das theoretische und auch das praktische Material, das wir be- 4

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